Von der Grundherrschaft zur Immobilienherrschaft – alte Macht in neuem Gewand

Wer sich mit der Geschichte der Grundherrschaft beschäftigt, stößt schnell auf eine verblüffende Kontinuität: Schon im Mittelalter waren es wenige Adelsgeschlechter, die über weite Ländereien herrschten und von der arbeitenden Bevölkerung Abgaben und Steuern einforderten. Heute, im 21. Jahrhundert, haben sich die Herrschaftsformen geändert, doch die Mechanismen wirken erstaunlich vertraut. An die Stelle des Adels sind die großen Immobilienbesitzer getreten – moderne Grundherren, die über Wohnungen, Grundstücke oder ganze Baukonzerne verfügen und aus dieser Machtstellung heraus Mieten und Gewinne generieren.

Die Parallele ist nicht zufällig. Eigentum an Grund und Boden war seit jeher die Quelle von Reichtum, sozialem Einfluss und politischer Macht. Während die feudalen Abgaben einst mit militärischem Schutz und Herrschaftsrechten begründet wurden, erfolgt die moderne Abhängigkeit subtiler: Wer in der Stadt leben will, muss mieten – und damit die Profite jener sichern, die über das knappe Gut „Wohnraum“ verfügen.

Die neuen Herren des Bodens

Ein Blick auf die Liste der reichsten Deutschen zeigt, wie stark Immobilienbesitz auch heute noch Vermögen prägt. Laut manager magazin zählen 55 der 249 Milliardäre hierzulande direkt zur Immobilienbranche. Manche verdienen an Bauprodukten, andere an Software oder Projektentwicklungen, viele schlicht am Besitz und an der Vermietung tausender Wohnungen.

Familie Knauf etwa kontrolliert den Gipsmarkt – ohne ihre Produkte ist kaum ein Neubau oder Umbau denkbar. Mit 11,8 Milliarden Euro Vermögen dominieren sie als „stille Giganten“ die Branche.

Georg Nemetschek schuf ein Software-Imperium für die Bauwirtschaft und bewies, dass sich auch mit digitaler Infrastruktur für Beton und Stahl Milliarden verdienen lassen.

Ernst Freiberger wandelte Pizzateig in Immobiliengold, indem er den Erlös aus seinem Lebensmittelgeschäft in Berliner Prestigeprojekte investierte.

Die Familien Goldbeck und Schörghuber stehen für Unternehmertum, das Bau und Bestand miteinander kombiniert.

Die Sedlmayrs wiederum knüpfen direkt an adelige Traditionen an: Ihre Wurzeln reichen ins königlich-bayerische Brauwesen zurück, heute besitzen sie 3800 Wohnungen in zwei der teuersten Städte des Landes.

Theodor Semmelhaack, Alfons Doblinger oder die Familie Conle gehören zu den größten privaten Vermietern Deutschlands. Alle eint, dass sie den Mietmarkt nicht nur bedienen, sondern in Teilen auch kontrollieren.

Die Summen sind beeindruckend: Von ein bis zwölf Milliarden Euro reicht die Spanne der Immobilienvermögen in Familienhand. Hinter den nüchternen Zahlen steckt jedoch eine gesellschaftliche Realität: Jeder Euro, den diese Milliardäre besitzen, beruht letztlich auf Zahlungen von Mieterinnen und Mietern, auf den Kosten des Bauens oder auf der Knappheit von Wohnraum.

Kontinuitäten von Macht und Abhängigkeit

Die Frage drängt sich auf: Was unterscheidet die mittelalterliche Grundherrschaft von der heutigen Immobilienherrschaft? Gewiss, wir leben in einer Demokratie, Eigentumsrechte sind rechtlich abgesichert, und niemand ist an einen Hof gebunden. Doch in der Praxis ähneln sich die Abhängigkeitsverhältnisse.

Damals wie heute bestimmt der Grundherr – sei er nun ein Adeliger oder ein Immobilienunternehmer – über die elementare Lebensbedingung „Wohn- und Lebensraum“.

Damals wie heute fließen regelmäßige Zahlungen an diejenigen, die über Eigentum verfügen, nicht an diejenigen, die darin leben und arbeiten.

Damals wie heute stabilisiert die Macht über Land und Boden soziale Hierarchien, die sich über Generationen hinweg verfestigen.

Die entscheidende Differenz liegt vielleicht weniger in der Struktur als in der Legitimation: Wo früher göttliches Recht und Geburt den Besitz erklärten, gilt heute unternehmerisches Geschick und „Marktlogik“ als Begründung. Doch das Ergebnis ist dasselbe – eine kleine Elite sichert sich den dauerhaften Zugriff auf die Ressource Boden.

Krisenresistenz durch Besitz

Gerade die aktuelle Immobilienkrise verdeutlicht diese Strukturen. Hohe Zinsen, steigende Baukosten, Insolvenzen bei Projektentwicklern – all das gefährdet kleine und mittlere Unternehmen. Für die Milliardäre hingegen bedeutet es selten mehr als eine Delle. Ihr Vermögen ruht auf jahrzehntelang aufgebautem Bestand, auf langfristigen Mietzahlungen und auf der Tatsache, dass Wohnraum in Deutschland knapp bleibt. Während viele um ihre Existenz kämpfen, behaupten die großen Eigentümer ihre Position unbeeindruckt.

Diese Krisenresistenz ist kein Zufall. Sie ergibt sich aus dem monopolartigen Zugriff auf Boden und Gebäude, die nicht beliebig vermehrbar sind. Wer einmal über große Bestände verfügt, ist praktisch unangreifbar. Mietzahlungen fließen auch in schlechten Zeiten, während staatliche Politik es nicht wagt, den Markt ernsthaft zu regulieren.

Die politische Dimension

Genau hierin liegt die Brisanz: Immobilienbesitz ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern eine politische. Der Zugang zu Wohnraum entscheidet über soziale Teilhabe, Lebensqualität und Chancen. Wenn dieser Zugang von einer Handvoll Milliardären kontrolliert wird, stellt sich die Frage nach demokratischer Legitimation.

Mieten sind keine freiwillige Zahlung für Luxus, sondern eine existenzielle Abgabe, ohne die niemand leben kann. Dass diese Abgabe in Milliardenhöhe bei wenigen Familien landet, während viele Haushalte über 30 oder gar 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, offenbart eine Schieflage, die an feudale Abhängigkeiten erinnert.

Ein neues Feudalsystem?

Natürlich sind die Zeiten nicht eins zu eins vergleichbar. Doch die symbolische Analogie ist aufschlussreich: So wie einst Burgen und Ländereien die Macht der Grundherren sicherten, so sind es heute Hochhäuser, Wohnanlagen und Baukonzerne, die eine neue Form der Grundherrschaft etablieren.

Das zentrale Problem ist, dass Boden nicht beliebig reproduzierbar ist. Er bleibt knapp und unverzichtbar – und damit immer eine Quelle struktureller Ungleichheit. Solange diese Ressource in der Hand weniger konzentriert bleibt, wiederholt sich eine uralte Geschichte: die Geschichte der Abhängigkeit von denen, die über Grund und Boden verfügen.

Ausblick: Wem gehört die Stadt?

Die aktuelle Krise der Immobilienbranche bietet auch Chancen. Insolvenzen und Neubau-Stillstand machen sichtbar, wie verletzlich das System ist. Es eröffnet aber auch die Frage, ob Boden und Wohnraum nicht stärker dem Gemeinwohl verpflichtet werden müssen – sei es durch Genossenschaften, kommunale Wohnungsbestände oder neue Formen kollektiven Eigentums.

Statt die moderne Grundherrschaft unhinterfragt zu akzeptieren, sollte die Gesellschaft die historische Kontinuität erkennen und überlegen, wie sich Macht und Besitz gerechter verteilen lassen. Denn letztlich entscheidet sich an der Frage des Wohnens, ob wir in einer Demokratie mit gleichen Chancen leben – oder in einer Neuauflage der alten Feudalordnung.

Autor: Dr. DI Manfred Omahna


Kommentare

2 Antworten zu „Von der Grundherrschaft zur Immobilienherrschaft – alte Macht in neuem Gewand“

  1. Ich habe einmal für eine große Investmentfirma gearbeitet, die Wohnungen in einem Berliner Altbau aufgekauft hat. Offiziell gehörte das Haus einer deutschen GmbH, aber im Hintergrund war alles über eine Briefkastenfirma auf Zypern verschachtelt. Dadurch haben wir kaum Steuern gezahlt. Für uns war das cleveres Investment – für die Stadt bedeutete es Millionenverluste an Einnahmen. Wenn man Mieter damit konfrontierte, war die Reaktion immer dieselbe: ‚Wir zahlen brav unsere Miete, aber ihr trickst euch durch.‘ Ganz Unrecht hatten sie damit nicht.

  2. Avatar von Luggi Bernd
    Luggi Bernd

    Bei einem großen Wohnbauprojekt war ich als Bauleiter tätig. Im Leistungsverzeichnis stand ein bestimmter Dämmstoff, hochwertig, teuer, aber sinnvoll. Dann kam von oben die Anweisung, auf ein billigeres Produkt auszuweichen – formal zugelassen, aber viel weniger haltbar. Das brachte dem Unternehmen mehrere Hunderttausend Euro Ersparnis. Uns war allen klar: In 15 Jahren werden die Bewohner die Probleme haben, Schimmel und Wärmeverlust. Aber solange es die Norm erfüllt, gilt es als legal. Für mich fühlt sich das wie systematischer Betrug an.

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