(…) Volltext auf: http://www.gat.st/news/partizipation-reflexiven-gesellschafts-raeumen
Raumanspruch für alle: Gesetzliche Grundlagen, Vereinbarungen und Konventionen
Als Öffentlichkeitsbeteiligung werden in den „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ drei Intensitätsstufen unterschieden: Erstens informative, zweitens konsultative und drittens kooperative Öffentlichkeitsarbeit. Informative und konsultative Öffentlichkeitsarbeit sind zum Teil formell geregelt und somit in verpflichtende Verfahren eingebunden. Der Gestaltungsspielraum reicht hier aber lediglich von Informations- bis hin zu Einspruchsrechten. Die stärkste Position nimmt hierbei die Parteistellung ein, die durch das österreichische Allgemeine Verwaltungsgesetz (AVG) geregelt ist.6
Am Ende eines formalen Verfahrens liegt in der Regel ein behördlicher Bescheid. Diese formalen Beteiligungen sind jedoch hinsichtlich einer kreativen Mitbestimmung eingeschränkt. Aufgrund zahlreicher negativer Erfahrungen entwickelte sich seit den 1960er Jahren die Nachfrage nach informelleren Verfahren. Diese sind allerdings nicht gesetzlich vorgeschrieben, somit bestehen auch keine Regelungen darüber, wie sie ablaufen sollen. Dennoch gibt es dazu mittlerweile eine Reihe internationaler Konventionen: Unter dem Titel „Our Common Future“ veröffentlichte die „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen“ 1989 den „Brundtland-Bericht“, er gilt als Beginn des weltweiten Diskurses über „Nachhaltige Entwicklung“. Darauf folgte 1992 die Rio-Konferenz, aus der die Agenda 21 als internationales Umsetzungs- bzw. Handlungskonzept hervorging.7
In der Lokalen Agenda 21 ist Beteiligung in allen Phasen, außer in der Vorbereitungsphase vorgesehen. Schließlich wurde 1994 die Aalborg-Charter8, die von rund 2.500 regionalen Verwaltungen in 39 Ländern unterzeichnet wurde, auf der Europäischen Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden verabschiedet und enthält eine Selbstverpflichtung für zukunftsbeständige Städte und Gemeinden unter BürgerInnenpartizipation. Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu Informationen sowie den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten regelt schließlich die sogenannte „Aarhus-Konvention“9 Sie wurde 1998 von 46 Staaten, darunter alle EU Mitglieder, unterzeichnet und z.T. ratifiziert und ist 2001 in Kraft getreten. An dieser Stelle ist auch an die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zu verweisen, die für jedes Kind das Recht auf Überleben, Entwicklung, Schutz und Beteiligung festschreibt.10 Als entscheidende Grundlage für BürgerInnenbeteiligung sind auch das „Weißbuch – Europäisches Regieren“11 zu nennen und die 2002 veröffentlichte „Österreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung“12 für Österreich, in der sich Bund und Länder erneut zur Durchführung von partizipativen Prozessen bekennen.
Im Zusammenhang mit diesen Bekenntnissen muss auch auf das Förderprogramm der Europäischen Union, LEADER und den Sonderfall Steiermark verwiesen werden, wo in Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen des Landes „LEADER Kultur“ eingeführt wurde.13 Wesentliches Merkmal sind „Bottom-up-Ausarbeitung und Umsetzung von Strategien“ auf Basis von BürgerInnenbeteiligung.14 Auf Bundesebene ist auf die Veröffentlichung der „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung. Eine Empfehlung für die gute Praxis“15 zu verweisen und auf „Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung“16. Auf der Ebene der Stadt Graz gelten die „Leitlinien für BürgerInnenbeteiligung bei Vorhaben und Planungen der Stadt Graz“17. Wichtig dabei ist, dass bauliche Vorhaben, die viele Menschen betreffen, eine hohe Symbolbedeutung haben oder einen wesentlichen Eingriff in die Umwelt darstellen, auf der Vorhabenliste18 des Referates für BürgerInnenbeteiligung veröffentlicht werden und im Gemeinderat über einen BürgerInnenbeteiligungsprozess verbindlich entschieden werden kann.
Diese informellen Verankerungen von BürgerInnenbeteiligung zeigen, dass diese zwar nicht verbindliche Verfahren darstellen, aber dennoch ein starkes Bedürfnis wahrnehmbar ist, AnwohnerInnen oder BenützerInnen in gestalterische, bauliche oder in andere Entwicklungsprozesse einzubinden, um eine nachhaltige Raumentwicklung gewährleisten zu können. Deutlich wird auch, dass es in einer sich wandelnden spätmodernen Gesellschaft zu einer Zunahme von Raumansprüchen kommt: Machtansprüche differenzieren sich sowohl um geschlechtsspezifische- wie auch um milieuspezifische Merkmale aus. Ökonomisierung, Festivalisierung und Ästhetisierung von urbanen Räumen werden prinzipiell demokratisiert.
BürgerInnenbeteiligungen und ihre Ergebnisse
Hier liegen aber auch Schwächen von Partizipationsvorhaben begründet: Es muss bedacht werden, dass die Anwendung von undifferenzierten und unreflektierten Partizipationsmethoden nicht ausreichen kann, um fundierte Ergebnisse zu erheben. Sicher, wenn Methoden wie der sogenannte „BürgerInnenrat“ oder ein „World Cáfe“ angewendet werden, ergeben sich irgendwie verwertbare Ergebnisse, ob diese Ergebnisse jedoch den Verhältnissen im untersuchen Raum tatsächlich entsprechen, bleibt fraglich. Zu selten wird dabei bedacht, dass die Anwendung von Methoden immer von der jeweiligen Fragestellung abhängt und nicht umgekehrt. Denn die stetige Neuformulierung von Identitäts- und Handlungsmustern geht über sichtbare äußere Problematiken hinaus.
Sie ist zugleich immer auch eine innere Krise, die sich als „Sprachlosigkeit“ äußert und sich als spätmodernes/neoliberales Dispositiv kulturell manifestiert. Um Menschen in den Beteiligungsprozess wirklich einzubinden, die Ihre persönlichen Situationen gar nicht darlegen können, weil diese als Themen gar nicht vorgesehen sind, müsste bereits in der Vorbereitungszeit ein wissenschaftlicher Feldforschungsprozess eingeführt werden.19 In vielen praktischen Anwendungen von Beteiligungsprozessen erfolgt eine Eingrenzung der Handlungsfelder schon im Vorfeld durch Fachleute und ExpertInnen. Den BürgerInnen sind somit in ihrer Beteiligung durch die Bestimmung von Themenfeldern bereits Grenzen gesetzt, die Praxen der Menschen müssen in schon festgesetzte Handlungsfelder passen.
Während in ethnographischen Fächern die Reflexivität der Forschenden, hinsichtlich dessen, wie die ForscherInnen das Forschungsfeld beeinflussen, im Zentrum steht, wird in Beteiligungsprojekten oftmals von einer harmonischen Einheit von Engagement und Forschung ausgegangen, die sich in der Praxis als Dilemma herausstellt.20 Für eine nachhaltige Entwicklung des Städtewachstums und der Regionen, müssten qualitative Forschungsprojekte mit praxisorientierten Partizipationsprozessen verknüpft werden. Denn eine nachhaltige Entwicklung ist nur gemeinsam mit den Menschen und der reflexiven Anerkennung ihrer vielseitigen lebensnotwendigen Raumansprüche möglich.
Autor: Manfred Omahna: Partizipation in reflexiven Gesellschafts-Räumen, in: GAT – Verein zur Förderung steirischer Architektur im Internet, http://www.gat.st/news/theoriegeleitete-projekte (15.8.2016).
Anmerkungen:
6 Hierzu gehören: regionale Bauordnungen (z.B. Nachbarrechte), Umweltverträglichkeitsprüfungen, Naturschutzverfahren für Betriebsanlagen oder Wasserbauprojekte (z.B. UVP-Dokumentation), Planungsverfahren zur Erstellung von Flächenwidmungsplänen oder Regionalprogrammen (z.B. das Recht auf Einsichtnahme bzw. Stellungnahme).
7 Vgl. Report der „World Commission on Environment and Development“: Our Common Future, http://www.un-documents.net/our-common-future.pdf, [19.7.2016]; AGENDA 21, Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung, http://www.un.org/depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf [19.7.2916].
8 Vgl. Charta der Europäischen Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit – Charter of European Cities & Towns Towards Sustainability, http://www.sustainablecities.eu/fileadmin/content/JOIN/Aalborg_Charter_english_1_.pdf [19.7.2916].
9 Vgl. Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE), http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/aarhus.pdf [19.7.2916].
10 Vgl. Konvention über die Rechte des Kindes, https://www.unicef.de/blob/9364/a1bbed70474053cc61d1c64d4f82d604/d-0006-kinderkonvention-pdf-data.pdf [19.7.2916]. br>
11 Vgl. Bericht der Kommission über Europäisches Regieren, http://ec.europa.eu/governance/docs/comm_rapport_de.pdf [19.7.2916].
12 Vgl. Die österreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung, https://www.nachhaltigkeit.at/assets/customer/Downloads/Strategie/strategie020709_de.pdf [19.7.2916].
13 Vgl. Gerald Gigler: Sechs Punkte zum Kulturgeschehen, http://www.van.at/kunst/ost/labor/set01/labor02.htm [19.7.2916].
14 Es sei hier auch auf das „Essener Modell“, eine Handlungsanleitung zum Stadtteilmanagement verwiesen sowie auf Strategien des „Place-Branding“, welche nicht ohne eine Beteiligung der Bevölkerung auskommt, weil es sonst zu Gegenkampagnen ebendieser kommen kann. Vgl. Mihalis Kavaratzis, Gary Warnaby, Gregory J. Ashworth (Ed.): Rethinking Place Branding. Comprehensive Brand Development for Cities and Regions, Heidelberg, New York u.a.: 2015.
15 Vgl. Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung. Empfehlungen für die gute Praxis, www.partizipation.at/fileadmin/media_data/Downloads/Standards_OeB/standards_der_oeffentlichkeitsbeteiligung_2008_druck.pdf [19.7.2916].
16 Vgl. Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung, http://www.oegut.at/downloads/pdf/part_hb-oeff-beteiligung.pdf [19.7.2916].
17 Vgl. Leitlinien für BürgerInnenbeteiligung bei Vorhaben und Planungen der Stadt Graz, http://www.graz.at/cms/dokumente/10209679_4894233/257a73e3/Leitlinien%20f%C3%BCr%20B%C3%BCrgerInnenbeteiligung.pdf [19.7.2916]. Zum Thema: „Formale Anregung von BürgerInnenbeteiligung“ vgl. http://www.graz.at/cms/ziel/6250926/DE/
18 Vgl. Vorhabenliste der Stadt Graz, http://www.graz.at/cms/ziel/5961549/DE [19.7.2916].
19 Vgl. Manfred Omahna, Franziska Schruth (Hg.): Endogenes Entwerfen. Qualitative Forschung in der Architektur. Ein kulturanthropologisch-architektonisches Studienprojekt zur Stadt- und Regionalentwicklung von Kapfenberg, Graz: 2016.
20 Vgl. Frank Eckardt: Stadtforschung. Gegenstand und Methoden, Wiesbaden: 2014, S. 203; vgl. dazu auch: Ray Lucas: Research Methods for Architecture, London: 2015.